Braucht eine Selbsthilfegruppe eine Leitung?
Wir fragen Wolfgang von „Die Gruppe“ – Selbsthilfegruppe für Suchtkranke
Wieviel „Leitung“ braucht eine Selbsthilfegruppe eigentlich? Immerhin kommen dort fünf oder zehn oder mehr Menschen zusammen und alle wollen erzählen, sich austauschen und Unterstützung erhalten. Braucht es da nicht jemanden, der die Regeln macht und sagt, wann es zu viel, zu wenig, zu irgendwas ist? Dazu gibt uns Wolfgang ein Interview.
Wolfgang ist seit ungefähr 10 Jahren Teil der Bonner Selbsthilfegruppe „Die Gruppe“ für Suchtkranke und deren Angehörige. Außerdem ist er Motorradfahrer, Künstler, fährt regelmäßig mit seinem Motorboot zur See. Am Ende seines Entzugs vom Alkohol vor 17 Jahren hat seine Frau zu seinem behandelnden Arzt in der Suchtklinik gesagt: „Mit der gleichen Sturheit, mit der er gesoffen hat, wird er jetzt trocken bleiben“. Und er hat es geschafft. Wolfgang ist seither trocken.
Zu Beginn seiner Abstinenz war Wolfgang sieben Jahre bei einer Selbsthilfegruppe, die durch einen Verein organisiert wurde. Die Gruppe habe ihm sehr geholfen. Jedes Treffen wurde von einem Leiter abgehalten, es gab feste Regeln und eine klare Abstufung zwischen Teilnehmenden und dem Leiter der Gruppe. Als der Leiter von Wolfgangs Gruppe dann ausschied, sollte einer aus der Gruppe die Position übernehmen. Ansonsten hätte die Gruppe aufgelöst werden müssen. „Nö. Das war uns zu viel Hierarchie“, sagt Wolfgang. Er und drei andere Teilnehmer der Gruppe wollten das so nicht und beschlossen: „Wir machen unser eigenes Ding“.
Die vier Männer haben beraten: „Wie bauen wir diese Gruppe auf? Braucht es eine Anmeldung zum Verein, braucht es eine Leitung, einen Stellvertreter?“ Für alle Fragen gab es ein Für und ein Wider. Am Ende entscheiden sie per Mehrheitsbeschluss: Wer dafür ist, hebt seine Hand. Und wenn dann die Mehrheit dafür ist, dann wird es gemacht. Und genauso machen sie es seither.
„Die Gruppe“ wird seit ihrer Gründung vor 10 Jahren streng basisdemokratisch abgehalten. „Und es funktioniert!“, schwärmt Wolfgang. Alle haben gleiches Stimmrecht. Und auch wenn Wolfgang die Gruppe nach außen vertritt, gebe ihm das keine besonderen Rechte. Ebenso gibt es nichts Schriftliches. „Es klappt ohne Druck, ohne Vorsitzenden, demokratisch“, berichtet er. „Eine Gruppenleiter-Hierarchie hat uns allen nicht behagt“. Und es gehe friedlich zu in der Gruppe. Bei jedem Treffen wird aufs Neue entschieden: wer macht heute die Begrüßung von Neuen und erklärt die Gruppenregeln? Das gehe dann in lockerer Folge reihum.
Offenbar gelingt es den Mitgliedern dieser Selbsthilfegruppe, durch Erfahrung und Vertrauen in die Kompetenzen jedes Einzelnen Basisdemokratie wirklich zu leben. Und sicherlich hilft es der Gruppe auch, dass erfahrene Teilnehmer wie Wolfgang dabei sind. Vielleicht kann Wolfgangs Geschichte andere Selbsthilfegruppen inspirieren und Mut machen, alle Teilnehmenden zu Leiter*innen zu machen.
Selbsthilfegruppe „Die Gruppe“ | Webseite | E-Mail an die Gruppe
|